Bob Dylan in Krefeld
Bob Dylan in Krefeld. Ob ihm jemand sagt, in welcher Stadt er sich gerade befindet? Während der Fahrt im schwarzen Tourbus mit österreichischem Kennzeichen, der nun hinter der Halle steht, von Leipzig kommend und am späten Abend dann auf dem Weg nach Bielefeld. Ihm erzählt, nun also komme man nach Krefeld, die Venue heiße immerhin „KönigPalast“, wo bis zu 5000 Leute ihn erwarten. Kein Palast für Könige – eine Eishockeyarena ist der KönigPalast. Der Sport hat Tradition in Krefeld. Bereits 1936 wurde der „Krefelder Eislauf-Verein 1936 e.V.“ (KEV) gegründet. Seit 1995 spielen sie als „Krefeld Pinguins“ in der höchsten deutschen Eishockeyliga, der DEL. 2003 zuletzt war man Deutscher Meister.
Krefeld, einstmals bewundernd die „Samt- und Seidenstadt“ genannt. Vom Hauptbahnhof aus kann man bequem mit dem Bus bis zur Arena vorfahren. Eine Fahrt durch die Stadt, die Erinnerungen weckt an ihre besseren Zeiten. Repräsentative Straßenanlagen, geprägt durch die im 19. Jahrhundert angelegten Wallstraßen, die als Nord-, West-, Süd-, und Ostwall ein Rechteck formen. Plätze und Häuserfassaden lassen bis heute eine klassizistische Gestaltungsidee erkennen. Im hellen Frühlingsonnenlicht erscheint alles ein wenig abgenutzt. Aber immerhin, die Stadt leistet sich sprudelnde Brunnen. Sie glitzern.
Exakt ausgerichtete Stuhlreihen in der Halle. Nummerierte Plätze. Der Künstler wünsche keine Fotoaufnahmen per Handy oder sonstwie, liest man auf Hinweisschildern. Später werden klobige Security-Leute durch die Reihen schreiten, bereit diejenigen, die fehlen sollten, zu ergreifen und aus der Halle zu begleiten. Eine diesbezügliche Drohung wurde jedenfalls in deutsch und englisch kundgetan… Mir gefällt der Sitzplatz. Ich kann konzentriert zuhören.
Ein tolles Konzert. Die Setlist umfasst 20 Stücke, die beiden Zugaben mitgezählt. Macht netto 1:50‘ Musik. Die Bühne, eine mit geschickten Lichteffekten erzeugte dezente Erinnerung an frühe Zeiten der Music-Perfomances, wie sie Robert Altmann in einer „Last Radio Show“ hätte in Szene setzen können. Eine Improvisation auf der akustischen Gitarre, das Licht geht an. Die Show beginnt. Kürzlich konnte man lesen, dass Bassist Tony Garnier seit 29 Jahren mit Bob Dylan spielt. Eine ziemliche Zeit und auch die anderen, Stu Kimball (g), Charlie Sexton (g), Donnie Herron (pedal steel u.a.) und der Drummer George Recile sind nicht erst seit gestern bei der Never Ending Tour dabei. Das macht aus dieser Combo eine äußerst verlässliche Einheit, die mühelos die immer neuen Anforderungen im Umgang mit dem gewaltigen Repertoire Dylans bewältigt. Dylan selbst spielt ‚nur‘ Piano. Lediglich zu den ins Programm wie zufällig eingestreut scheinenden Crooner-Songs, eine respektvolle Huldigung Frank Sinatras im Spätwerk Dylans, verlässt er seinen Platz und arrangiert sich in der Mitte der Bühne mit dem Mikrofonständer. „Melancholy Mood“ oder „Autumn Leaves“ sind kleine Perlen. Band und Sänger, die eben noch krachenden Rock darboten, erzeugen eine barbluesig anmutende Swingstimmung, in der Bob Dylans Stimme eine ebenso melodiefeste wie charismatische Mitte darstellt. Diese Stücke sind perfekt arrangiert. Alle Stücke sind perfekt arrangiert: krachend rockig, erdiger Blues, jazzige Eleganz oder mäandernde Balladen in unerwartet wechselnden Rhythmen – es ist beeindruckend, mit welcher Selbstverständlichkeit die sechs Companions auf der Bühne diese Vielfalt auf hohem Niveau gestalten. Bob Dylan hat inzwischen seinen Gesangsstil völlig verändert. Er nähert sich wieder den Melodien seiner Stücke. Hält sie durch, forciert sie zuweilen. In den neuen Arrangements solcher Stücke wie „Don‘t Think Twice“, „Highway 61 Revisited“ oder „Simple Twist of Fade“ ist dieser Gesang eine Referenz an die eigenen Ursprünge. Großartiger Höhepunkt dieser Kunst sind an diesem Abend die beiden Stücke „Tangled Up in Blue“ und „Desolation Row“. Schlichtweg schön! Die perfekten Arrangements erlauben dabei keine Improvisationen. Ein Makel? Nein, im Verlauf der Never-Ending-Tour ist der wie beiläufig vorgeführte Stilwechsel im ausgeklügelten Arrangement eine Station, eine weitere Form des musikalischen Ausdrucks – die mich übrigens in Power und Präsenz an die besten Konzerte mit „The Band“ erinnert. Und darum geht es ja: in der endlosen Erzählung über die Menschen und ihre Musik fügt der Singer- und Danceman dem Great American Songbook ein weiteres Kapitel aus seinem Fundus hinzu. Dieses über die Kunst und Kraft des perfekten Arrangements entstand in Krefeld. Am 19. April 2018.
Mit der aktuellen Fassung von von Tangled up in blue kann ich nichts anfangen und statt der Sinatra Stücke träume ich von einer alten Fassung von Tambourine man oder Song to Woody.